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Naturverständnis in der Romantik

und moderne Naturphilosophie

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Ein Beitrag unseres Mitglieds

 

Martin Haas

Martin Haas Bild: Detlef Welker 13.04.2024

Naturverständnis in der Romantik und moderne Naturphilosophie

am Beispiel Novalis (Zitate mit Seitenzahlen nach der zweibändigen Ausgabe der Werke von Novalis, Band I, herausgegeben von  Richard Samuel. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1978)

 

 

 

 

 

 

I. Verschiedene Formen der Naturerkenntnis im Text von Novalis: Die Lehrlinge zu Sais

 

In Dialogform schildert Novalis den reichen Gedankenaustausch der Lehrlinge über die Geheimnisse der Natur und  der menschlichen Phantasie. Der Lehrer bündelt und vertieft die verschiedenen Ansätze der Lehrlinge und rundet es zum Ganzen. Er ist der große Anreger, der den Lehrlingen immer wieder die Augen öffnet. Im Grunde vertritt er die Rolle des Dichters, der alles mit allem verknüpft und visionär in einer tiefen Gesamtschau vereinigt.

Mögliche Formen der Naturbetrachtung:

 

1. Materialistisch oberflächlich, an Einzelheiten hängenbleibend, atomisierende Sichtweise. Die Natur ist tot, nur kausalmechanische Zusammenhänge. Der Kosmos als Riesenapparat ohne Seele.

Trennung von Subjekt und Objekt (S.206, 218).

 

2. Eine grausame Natur. Fressen und Gefressen werden (S.210).

 

3. Eine vernünftige, wohlgeordnete Natur. Alles hat ein Ziel, ein Telos, ist zweckmäßig. Eine Natur, die auch den Betrachter selbst zu einem vernünftigen und ethischen Lebensstil führt (S.213).

 

4. Die Beseelung der Natur: Alles atmet, pulsiert, raunt und flüstert. Die Natur als Heimat des Menschen. Er spürt eine lieblich Wärme, die ihm Geborgenheit schenkt. Alle Wesen finden sich zusammen in einer wunderbaren Sympathie (S.219).

Diese Naturauffassung steht im Vordergrund und gipfelt in dem Märchen von Hyazinth und Rosenblüte: Ein junger Mann strebt mit großem Ernst nach der Erkenntnis der tiefsten Geheimnisse der Natur. Er findet einen Lehrer, der ihn noch mehr dazu anregt. Er verlässt seine Geliebte, das Mädchen Rosenblüte, macht eine weite Reise, findet im Tempel zu Sais das verschleierte Bild der Göttin Isis, lüftet den Schleier – und Rosenblüte sinkt ihm in die Arme

(S 215f.).

Die Liebe ist der letzte Sinn der Natur. Alles, was junge Menschen füreinander empfinden, belebt auch alle Pflanzen und Tiere. Die Erzeugungsgeschichte der Natur ist „eine Offenbarung des Genius der Liebe“ (S.225). „Das innersten Leben der Natur empfindet der Gemütsmensch als Liebe und Wollust.“ (S.227)

 

Die Beseelung der Natur macht Novalis noch in weiteren Punkten anschaulich.

 

1. Die Deutung der Natur aus den Elementen Wasser und Feuer, Erde und Luft. Alle Dinge haben eine ungeheure Sehnsucht, zu zerfließen. Das Wasser ist das Unendliche, die Sehnsucht, Grenzen aufzulösen, sich in alles zu verwandeln. Der Gemütsmensch möchte versinken „in den verlockenden Schöss der Natur“ und empfindet es „wie einen Ozean“ (S.227).  Menschen, für die die innige Liebe zu einem Partner das wichtigste ist, „lodern im himmlischen Feuer, die erfahren herrliche Dinge aus den Geheimnissen der Natur“ (S.227). Die Erde als Mutter aller Lebewesen und Heimat. Die Luft als Vater Äther bei Hölderlin.

 

2. Die physiognomische Deutung der Natur. „Die Natur drückt den Zustand des Menschen aus so wie ein Gesicht.“ (S.224) Alles hat ein Gesicht: Wolken, Bäume, Mond und Sternbilder.

3. Die Natur als Sprache. So schildert Novalis die geheime Chiffernschrift in Wolken und Kristallen, in Steinen und gefrorenem Wasser usf. (S.201). „Der wahre Sinn der Natur zeigt sich. Alles ist eine große Schrift, wozu wir den Schlüssel haben.“ (S.212)

Es geht aber nicht nur um Buchstaben, auch die ganze Natur ist belebt von einem Gespräch, das alle miteinander führen. „Vögel, Bäume und Felsen wollen ihm (dem Menschen) etwas erzählen.“ (S.214) Das Naturgespräch setzt sich weiter fort im Gespräch der Lehrlinge. Alles ist ein unendlicher Kommunikations-Zusammenhang. Der Körper selbst mit allen Sinnen „führt uns in die wunderbare Gemeinschaft der Natur“ (S.220).

 

4. Natur als Musik. Die Natur erkennen heißt: „in Saiten nach Tönen und Gängen greifen“ (S.202).

Das erinnert sehr an Eichendorff. Immer lauscht der Dichter auf das Rauschen der Wälder, auf die Flüsterbotschaft des Windes, auf Quellengemurmel und den Ruf eines Klanges aus der Ferne. “Schläft ein Lied in allen Dingen … „

Sprache und Musik gehören zusammen. Die Romantik ist auch eine Zeit, wo die Tiefe des Hörens wiederentdeckt wird.

 

5. Transzendenzerlebnisse

5.a Das Schöpferische als das Wesen der Natur. Die grenzenlose Vielfalt der Formen und Gestalten.

   b Offenheit der Seele für das Unendliche der Natur. Ehrfurcht, tiefe Andacht.

(S.208, 210, 226, 231).

  c. Die Natur als eine Welt aus unendlich vielen Geisterreichen.

So ist die Natur auf vielfältige Weise lebendig. Alles ist Seele: Elemente und Gesichter, Sprache und Musik, geheime Botschaften und Geisterreiche.

 

Soweit Novalis. Es wird klar, dass der Text: Die Lehrlinge zu Sais schon das volle Programm enthält, das Novalis später in seinen Gedichten, Erzählungen und philosophischen Fragmenten entfaltet.  Alles ist schon in komprimierter Form gesagt: die Rolle des Dichters, der allumfassende Analogiezauber, die Allmacht der Phantasie. Sehen und Hören ergänzen sich zur Gesamtschau.  Dichtung als progressive Universalpoesie, die alles mit allem verbindet.

 

II. In einem zweiten Hauptteil reizt es mich besonders,  die vielfältigen Wirkungen und die Bedeutung des Novalis im 20. Jahrhundert zu skizzieren.

 

1. Naturverständnisse im 20.Jahrhundert.

1.a Schon J.Kepler hatte gesagt: Astronomie ist Gottesdienst (zitiert bei C.F. von Weizsäcker, Zeit und Wissen, Hanser 1992) . P.Jordan und C.F. von Weizsäcker haben diesen Satz noch einmal bewusst wiederholt.

b. H.P.Dürr (Hrsg. Physik und Transzendenz, München 1990): Die Quanten wissen voneinander, kommunizieren miteinander, und deuten damit auf ein unendliches Netzwerk der Liebe in einem spirituellen Kosmos, der den Mystikern und  östlichen Weisen seit langem vertraut ist.

Moderne Atomphysik, Astronomie, die Wunder der kleinsten Bausteine der Materie und die schwindelerregenden Tiefen des Kosmos wurden wieder ganz neu ein Medium der religiösen Erfahrung. Ein großes Evidenzerlebnis führte zur Gewissheit: Es muss einen letzten geheimnisvollen Urgrund geben, der uns verborgen bleibt, und nichts hinderte die Forscher daran, in traditioneller Sprache von Gott zu reden. Zu diesen Naturwissenschaftlern gehörten auch Heisenberg (Der Teil und das Ganze, dtv München 1973) und Einstein (Pantheismus von Spinosa).

c. Die Gestaltbiologie des 20. Jahrhunderts mit H.Driesch, A. Portmann, Sheldrake hat ein Naturbild gezeigt, das der Romantik sehr nahe kommt: Fortwährend entsteht eine grenzenlose Fülle von schönen Gestalten, von Formen, Farben und Mustern, die man nicht allein mit dem Nützlichkeitsprinzip  erklären kann, so dass man die reine Ästhetik als ein eigenes Konzept der Natur verstehen kann. Alles wirkt auf alles und ist miteinander verknüpft in morphogenetischen Feldern.

d. Andreas Weber: (Alles fühlt. Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften. Berlin 2007) zeigt: Es gibt kein Leben ohne Gefühle. Tiere und Pflanzen, sogar die kleinsten Zellen, kommunizieren miteinander, und alle Lebewesen sind innig verwandt mit unserer Seele. Die „semiotische Biologie“ (von griechisch: semeion = Zeichen) schildert, wie die Tiere und Pflanzen sich durch mannigfaltige Signale Botschaften zusenden – so wie auch bei Novalis alle Lebewesen eine große Sprachfamilie bilden.  

e. Dieses Naturbild wird noch erweitert in der Sicht der sog. „New Age“- Bewegung am Ende des 20. Jahrhunderts mit dem Physiker und Mystiker F.Capra (Der kosmische Reigen. Physik und östliche Mystik – ein zeitgemäßes Weltbild1977 Scherz Verlag): Vernetzung der Lebensräume in der Ökologie, in der hochkomplexen Arbeit des menschlichen Gehirns, im kulturellen Austausch, in Religionsgesprächen.

Soweit die Naturverständnisse im 20.Jahrhundert im Vergleich zu Novalis. Aber das große Ganze der Natur mit Beseelung und Allverbundenheit ist jetzt kein Dichtertraum mehr, sondern Wissenschaft. Was Novalis geahnt und gefühlt hat, gewinnt allmählich eine wissenschaftliche Form. Astronomie, Atomphysik, Biologie - alles weist in dieselbe Richtung.

Naturwissenschaft ist Gottesdienst.

 

Ich skizziere jetzt kurz die Verbindungslinien vom Naturverständnis der Romantik zu anderen Wissensgebieten im 20. Jahrhundert: Philosophie, Tiefenpsychologie, Dichtkunst, Theologie, Esoterik.

Die Lehrlinge zu Sais suchen nach der Wahrheit. Was ist Wahrheit? Damit ist die Philosophie gefragt. Philosophie ist wörtlich: Liebe zur Wahrheit.

 

1. L.Klages (Der Geist als Widersacher der Seele 6.Auflage 1961 Bonn), Hauptvertreter des sog „Vitalismus“ hat die Naturauffassung der Romantik vertieft, wonach alles beseelt ist. Er spricht von den „Elementarseelen“: Jede Landschaft ist ein Ganzes und hat eine Elementarseele. Es gib Elementarseelen der Wälder und Wolken, Wasser und Feuer, Luft und Erde, der Pflanzen und Sternbilder. Und die menschliche Seele kommuniziert mit dem Bilderstrom der Elementarseelen, am besten im Schlaf und im Traum. Die Seele „erschaut“ diese Bilder,  und dieses Schauen ist ein gleichzeitiges Sehen, Hören und Fühlen – wie in der Synästhesie bei Novalis.

 

2. E.Husserl, Vertreter der „Phänomenologie“, spricht von der „eidetischen Wesensschau“ als Grundlage aller Erkenntnis. So wie Goethe die Urpflanze wirklich gesehen hat, ganz deutlich und mit wachen Augen träumend, so entdeckt Husserl konkrete Urbilder in den Dingen selbst. Die Schau der Ideen vollendet sich im äußeren Sehen. Das ist vergleichbar mit der Erkenntnistheorie des Novalis, der alles Geistige nur im Medium der körperliche Sinne erschauen kann. 

3. Der späte Heidegger beschreibt die „Lichtung des Seins“ – ein Urgeschehen des Hellwerdens,  das jedem Erkennen vorausgeht. Deutlich wird das in seinem Buch über Hölderlin: die Heiterkeit in den weiten Räumen der Natur, im wolkenlosen Äther, der immer   heller und klarer wird. Heiterkeit als Urqualität des Lichtes. Das erinnert mich an die Offenheit der Seele bei Novalis, die die Dinge auf sich wirken lässt, ganz hingegeben an die Schönheit und die Leuchtkraft der Farben.

 

Bisher habe ich immer wieder von der Seele gesprochen. Aber was ist das, die Seele?

Die Psychologie ist gefragt.

 

1. C.G. Jung erforschte die Archetypen, die Urbilder in der menschlichen Seele, die in den Träumen aller Menschen und in den Mythen aller Völker wiederkehren. Eine seelische Urschicht deutet sich an, die in der Gesamtmenschheit lebendig wird: Das kollektive Unbewusste. Zum Beispiel die Anima, Urbild der Geliebten. So ist auch die Anmut blumenhafter Mädchen, Idealgestalt weiblicher Schönheit ein immer wiederkehrendes Motiv der Romantik. Und der Animus, Urbild des Helden bei C.G.Jung ist es, der um die Geliebte kämpft, oft der Protagonist romantischer Erzählungen. Und das Urbild des alten, weisen Mannes, ist in der Romantik der Mann im Bergbau, der vertraut ist mit dem Geheimnis der Kristalle und der Phantastik der Natur. Und er ist der Lehrer der Jünglinge zu Sais.

 

2. Auch die pränatale Psychologie mit St.Grof u.a. befasst sich mit der Urerfahrung des Menschen als Embryo im Mutterleib: warme Höhle, Stimme der Mutter, paradiesische Umwelt, absolute Geborgenheit. Die Deutung des Wassers als schöpferische und grenzenlose Urwelt, bevor die Ichwerdung beginnt, erinnert an Jung und Novalis.

Dann kommt das Trauma der Geburt und die lebenslängliche Sehnsucht nach der Rückkehr zum Ursprung. Das ist zutiefst romantisch.

 

Mit den Urbildern bewegen wir uns auch im Reich der Dichtkunst.

 

1. H.Hesse hat im „Glasperlenspiel“ (Suhrkamp Tb.1973) gezeigt, wie es möglich sein kann, Ideen, Symbole und Chiffren der ganzen bisherigen Menschheit in Analogie zu musikalischen Noten und Melodien miteinander zu verknüpfen. Suche nach Wahrheit. Große Gesamtschau.

 

2. M. Ende schildert in seiner „Unendlichen Geschichte“ (Thienemann, 1979) das Land Phantásien als eine Welt, die nirgendwo aufhört, vergleichbar mit dem Naturbild von Novalis.  Alles ist endlos weiter fortsetzbar wie in  der progressiven Universalpoesie. Der kindliche Leser Bastian wird selbst zum Protagonisten der Geschichte, zum Archetyp des göttlichen Kindes, das die Welt erlösen kann und das vom Nichts bedrohte Phantásien rettet.

 

3. Im Buch Momo schildert M. Ende ein tiefsinniges Gespräch zwischen dem Mädchen Momo und dem „Meister Hora“: der Tod nicht als Schreckgespenst sondern als Menschenfreund. Es geht um das Wesen der Zeit, um die Lebensmelodie jedes einzelnen Menschen, die in den musikalischen Rhythmus der Sterne und der Sphärenharmonie einschwingt. Am Schluss bekommt Momo von Meister Hora ein paar „Stundenblumen“ geschenkt, um die Menschen von der Schreckensherrschaft der grauen Männlein der „Zeitsparkasse“ zu befreien.

So könnte man auch die gesamte Phantasy-Literatur des 20. Jahrhunderts daraufhin untersuchen, wie weit sie eine Fortsetzung der Romantik ist.

 

Ich habe schon öfter von höheren Ahnungen und Transzendenzerlebnissen gesprochen. Aber was ist das: Geisterreiche, Jenseits, andere Welt? Das Absolute? Da ist die Theologie gefragt. Mehrmals gab es einen großen Wendepunkt in der Theologie des 20. Jahrhunderts.

 

1. In den Materialien zu „Die Lehrlinge zu Sais“ steht am Ende die kurze Notiz: „Jesus zu Sais.“ Gemeint ist die Leiderfahrung und „die Sehnsucht nach der Jungfrau“. Die Göttin Isis und Maria rücken zusammen. Das scheint mir typisch für die Romantik zu sein, dass der Dichter die Freiheit hat, Bilder der christlichen und anderen Religionen zu verbinden. Die Lust zu großen Synthesen ergreift auch die Religionsgeschichte. Wesentlich später, Ende des 20. Jahrhunderts ereignet sich eine große Trendwende in der protestantischen Theologie. Die traditionelle Antithese: „wahre Offenbarung“ und „Religion auf dem Irrweg“ wird aufgegeben zugunsten einer neuen Öffnung für die Wahrheit, die in  allen Religionen steckt. Anstelle der Missionsabsicht tritt der „herrschaftsfreie Dialog“, dem Wahrheitskriterium des Philosophen J.Habermas (so bei H.Küng) und die Vorstellung, dass alle Religionen gemeinsam auf einem Weg sind zu demselben Ziel – das Erlebnis des Göttlichen, ähnlich wie im Gespräch der Lehrlinge zu Sais.

Das ganze 20. Jahrhundert ist ein Zeitalter der spannenden Religionsgespräche – zuerst inner-kirchlich das Gespräch zwischen evangelischen und katholischen  Christen in der ökumenischen Bewegung – dann nach außen das Gespräch zwischen Christen, Moslems, Hinduisten, Buddhisten, Naturreligionen. Die Fülle und der Reichtum der Bilder, Symbole, Mythen rund um die Erde wird zunehmend bewusst. Ich nenne die Namen einiger Theologen: E. Drewermann, der den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Bibel erforscht und die Bilder der Bibel als Fortsetzung der Religionen begreift und aus der Tiefenpsychologie von C.G.Jung deutet: Wir müssen die Bilder und Mythen weiterdenken, weiterphantasieren, weiterträumen, um sich in ihnen einzuleben (E.Drewermann: Dein Name ist wie der Geschmack des Lebens. Tiefenpsychologische –Deutung der Kindheitsgeschichte nach dem Lukasevangelium. Herder 1986).

Drewermann ist Theologe und Dichter. Das ist vergleichbar mit dem Ideal der Romantik: Der Dichter als Priester. Die Schönheit der Sprache Drewermanns erinnert mich an Novalis.

H.Küng: Projekt Weltethos. Alle Religionen müssen an einem Strang ziehen zur Bewahrung der Schöpfung, für Gerechtigkeit und Frieden, müssen kämpfen gegen Krieg und Umweltzerstörung.

Michael von Brück: Gespräche mit dem Dalai Lama im Kirchentag. Bücher über Hinduismus und Buddhismus. Große Brücken zwischen westlicher und östlicher Religion.

Das Gespräch zwischen Christen und Juden steht erst am Anfang. Die Fülle der jüdischen Weisheit wird neu entdeckt. Es geht dabei um die Weisheit Salomos und der Schöpfungspsalmen und anderer Bücher im Alten Testament. Die zentrale Erfahrung: Ehrfurcht vor den unerforschlichen Tiefen in der sichtbaren Natur, das grenzenlose Staunen und die Verherrlichung des ewigen Schöpfers. Da sehe ich eine große Nähe zur Romantik bei Novalis – besonders in der Intensität des religiösen Erlebens und in der Schönheit der hymnischen Sprache.

 

2. Damit ist eine weitere Trendwende in der christlichen Theologie angedeutet: Schöpfungsspiritualität anstelle einer Frömmigkeit, die den Menschen als armen Sünder sieht, mit der Erbsünde schwer belastet, ein passives ohnmächtiges Wesen, das nur durch den Opfertod Christi erlöst werden kann. Das Menschenbild in der Spiritualität der Schöpfung ist uneingeschränkt positiv, der Mensch ist grenzenlos schöpferisch als Künstler, Dichter, Philosoph, Therapeut, Sozialarbeiter, Politiker – als Mitarbeiter im Reich Gottes. Das Buch von M.Fox: „Der grosse Segen“ (Claudius 1991) ist dafür ein Beispiel. Der Mensch ist reich gesegnet mit vielen Gaben. Ebenso der Theologe J.Moltmann: Ökologie kommt von dem Griechischen Wort oikos, Haus. Die Natur als Haus Gottes, wo alle Dinge in einem großen Netzwerk miteinander verbunden sind – so wie früher der Tempel in Jerusalem als Wohnung des unsichtbaren Gottes galt. Auch hier sehe ich eine große Nähe zu  Novalis: Natur als Haus, Heimat und Tempel.

 

Esoterik im 20.Jahrhundert.

1. Die Esoterik wird nach meinem Ermessen von vielen Wissenschaftlern, Theologen und Philosophen weit unterschätzt. Astrologie, Alchemie, Tarotkarten usw. sind Symbolsysteme. Es ist eine Chiffrensprache, die heute nicht mehr verständlich ist und deshalb vielen Menschen schwer zugänglich bleibt. Aber wer sich eine Weile im Symboldenken der Romantik geübt hat, wird auch hier fündig. Immer geht es um einen Weg vom Dunkel zum Licht, von unten nach oben, vom Bösen zum Guten, vom Gefängnis des Egoismus zur Liebe, vom Unbewussten zum Überich. Mit Hilfe von Symbolen kann man daran arbeiten. So ist es ein Geschenk der Romantik, die vergessene Sprache der Symbole neu kennenzulernen und den Zugang zu vielen Schatzkammern zu finden, die uns sonst verschlossen bleiben.

 

2. Dazu kommt die Nahtodforschung, die in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat und schon eine wachsende Literatur hervorbringt.  Es geht um Menschen, die bereits klinisch tot waren und durch Reanimation wieder ins Leben zurückkehren konnten. Sie berichten von einem intensiven Jenseitserlebnis – mit überraschenden Parallelen zu den Vorstellungen aller Religionen: Ganz viel Licht, Liebe, Geborgenheit, Weisheitslehrer, Landschaften von überirdischer Schönheit, Musik. Der Nahtodforscher Pim van Lommel (Endloses Bewusstsein. Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung. 2009 Patmos Verlag) beschreibt das Jenseits seiner Patienten als den „nichtlokalen Raum des unendlichen Bewusstseins“.  Alles das bereichert noch mehr das Transzendenzerlebnis  des Novalis: Die Natur als eine Unendlichkeit von Geisterwelten.

 

In Summa: Novalis öffnet uns den Blick für eine Zusammenschau der spirituellen Seite des 20. Jahrhunderts. Alles weist in dieselbe Richtung: Wissenschaft und Dichtung, Philosophie, Theologie und Esoterik. Damit wird auch ein Gegengewicht geschaffen zu allem, was man heute als „die Moderne“ bezeichnet: Relativismus, Ortlosigkeit des Menschen, kosmisches Schwindelgefühl, Entmythologisierung und Entzauberung,  Absurditätserfahrung.

Wir müssen die Verzweiflungsliteratur ernst nehmen. Viele Mensch habe wirklich furchtbare Dinge erlebt im 20. Jahrhundert. Aber wir dürfen nicht bei der Verzweiflungsliteratur stehenbleiben. Die Seele braucht auch die positive Gegenwelt der Romantik. Wir brauchen die Horizonterweiterung und die Erde als Mutter und Heimat. Wir brauchen Symbolerfahrungen. Wir brauchen die Hoffnung auf ein Geisterreich mit Licht und Liebe

Letzte Frage: Könnte es auch eine Politik geben, die auf den Spuren des Novalis geht? Weniger in Machtkategorien und Feindbildern denken, mehr Toleranz, mehr Dialogfähigkeit, diplomatische Phantasie, Wirtschaftsverträge, kultureller Austausch, Faszination der Schönheit der Natur und umweltfreundliche Energieformen – und Kriege werden dann immer weniger wahrscheinlich. 

So wie der israelische Dirigent  Barenboim, der Juden und Araber in seinem Orchester vereint.

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