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Im Verlauf der Herbsttagung des FDA Niedersachsen und Bremen, hielt Dorit Berger am 01.10.2016 ein Fachseminar für die Tagungsgäste. Die Zusammenfassung des Sminarinhalts hat sie uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Vielen Dank, Dorit, so haben wir Gelegenheit alles noch einmal in Ruhe nachzulesen.
„Textile Kunst .... gibt sich gleichsam als Urkunst zu erkennen,
weil alle anderen Künste ihre Typen und Symbole aus ihr entnehmen,
während sie selbst.... ihre Typen aus sich heraus bildet oder unmittelbar
der Natur abborgt“
Gottfried Semper, 1860
Textilien sind elementarer Bestandteil unseres Lebens, sie begleiten uns über die erste Windel bis zum Leichentuch buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre. Sie sind heute als Massenware überall präsent und wir haben ihre existentielle Bedeutung fast vergessen.
Der Faden ist das Grundelement aller textilen Techniken. Ihn zu spinnen gilt als eine der größten Kulturleistungen der Menschheit Immer wird diese Erfindung der obersten weiblichen Gottheit einer Kultur zugeschrieben – niemals einem männlichen Gott. Die dreieinige Göttin in Form der Nornen oder Parzen spinnt den Lebensfaden des Menschen – und schneidet ihn ab. Der Mensch wirkt sein Leben als Bildteppich auf einem Webstuhl: die festgelegte Kette (Anlagen, Charakter, Lebensumstände) mag gut oder schlecht sein, im Eintrag (der Lebensgestaltung) ist er frei und kann sein Lebensmuster – und damit das Ergebnis - eigenverantwortlich und selbstbestimmt wählen.
Über Jahrtausende waren diese Bilder der Mythologie fester Bestandteil allgemeinen Wissens, so sehr, dass es sich tief in unsere Sprache und damit in unsere Kultur eingegraben hat. Textilarbeit war überwiegend häusliche Frauenarbeit, hoch geachtet und gesetzlich geschützt, unabhängig vom Stand der Familie. Auch Königinnen bildeten keine Ausnahme. Erst mit der industriellen Revolution, die sich bezeichnenderweise zuerst im textilen Bereich ausbreitete, verlor die Frauenarbeit ihren Wert und wurde zur „Handarbeit“, mit der Frauen der höheren Schichten ihre Zeit totschlugen und mehr oder weniger sinnlose Produkte schufen.
Immer wenn die Produktion dem Gelderwerb diente, bildeten sich im Mittelalter Zünfte und ausschließlich Männer durften die „praktischen Künste“ ausüben. Der Künstler war Handwerker und sein Werk blieb meistens anonym. Erst als sich mit der Entstehung des Bürgertums und den Ideen der französischen Revolution – die interessanterweise nahezu zeitgleich mit der industriellen Revolution stattfand! – wurde der Begriff der Kunst immer mehr zu Malerei und Skulptur als „Freier Kunst“ verengt, während Werke, die in Funktionszusammenhängen entstehen, zur „Angewandten“, also „Unfreien“ Kunst (oder zum „Kunsthandwerk“) wurden. Innerhalb dieser haben textile Techniken den geringsten Stellenwert: die „Handarbeit“ lässt grüßen. Ganz in diesem Sinn wird der Bildteppich, die Tapisserie, zweigeteilt: der freie Künstler, ein Mann, schafft den Entwurf, der Weber als Kunsthandwerker und in der Regel weiblich, führt ihn aus. Die Göttin ist zur Magd geworden.
Dies zeigte sich auch am Bauhaus. Frauen wie Anni Albers oder Gunta Stölzl, die sich für die Malereiklasse bewarben, wurden statt dessen in die Weberei verwiesen, wo sie jedoch entscheidende Impulse dafür gaben, dass sich die Textilkunst als eigenständiges und gleichwertiges Fach zu entwickeln begann.
Diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Immer noch gilt die freie Kunst als hehr. Ihr sind öffentliche Aufmerksamkeit, Gelder und Museen sicher, ausserdem lässt sie sich studieren. Dabei ist die Freie Kunst fast nur visuell wahrnehmbar!
Anders die Angewandte Kunst: sie fordert alle Sinne, sowohl vom Ausführenden wie auch vom Betrachtenden. Die schaffende Anwesenheit eines Menschen – vom Entwurf bis zur Ausführung - bleibt auch im Werk noch spürbar. Eines der kostbarsten Güter unseres heutigen Lebens, die Zeit, ist ebenso darin enthalten.
Obwohl den traditionellen Techniken verhaftet, ist die Angewandte Kunst jedoch keine rückwärtsgewandte Angelegenheit. So wie Kunst nur durch Veränderung Bestand haben kann, hat auch die Angewandte Kunst moderne und zeitgemäße Ausdrucksformen gefunden. Bleibt nur noch die berechtigte Erwartung, dass der Angewandten Kunst dieselbe öffentliche Anerkennung zuteil wird wie der Freien Kunst. Ein wie von einigen engagierten Personen geforderter Lehrstuhl für Theorie der Angewandten Kunst wäre ein erster Schritt dahin. In Skandinavien zum Beispiel ist das längst üblich.
Angewandte Kunst sollte in allen Sparten als ein Teil der Kunst begriffen und als Kulturleistung gewürdigt werden. Und wenn die Textilkunst, der sich inzwischen auch längst Männer widmen, vom „Geschmäckle“ der „Handarbeit“ befreit wird, könnte sie uns wieder öffnen für die existentiellen Botschaften, die sie schon immer vermittelt hat und es durch ihre Kunstschaffenden auch heute noch tut.
Die spinnen, die Autoren!
Zu diesem Ergebnis käme Obelix sicher, könnte er erfahren, was wir Autoren so treiben. Und er hätte recht!
Denn -
was kann man alles spinnen?
Faseriges Material (Wolle, Seide, Flachs, usw. usw.)
Gedanken
Geschichten
Intrigen und Ränke
Lügengarn
Seemannsgarn
Ideen
den Lebens- und Schicksalsfaden
den Geduldsfaden
Hirngespinste
Aus diesen Fäden weben wir Autoren den Stoff oder den Teppich unserer Geschichten und Gedichte. Das ist kein Wunder, denn
TEXT und TEXTil kommen beide vom lateinischen texere, was „weben, flechten, kunstvoll zusammen fügen“ bedeutet.
Ein Text ist demnach eine Abfolge von Satzäußerungen, die durch einen satzübergreifenden Bedeutungszusammenhang charakterisiert sind, ähnlich wie die Fäden in einem Gewebe ineinander greifen.
Natürlich ist ein Text an die Existenz der Sprache gebunden. Hier stoßen wir auf eine grundlegende Frage: was war zuerst da – der gesponnene Faden als grundlegende textile Technik oder das Wort, bzw. der geschriebene Text? Es ist die Frage nach der Henne und dem Ei.
Prof. Almut Bohnsack beschreibt die Erfindung des Spinnens als größte Kulturleistung des Menschen überhaupt. Für die fortwährende Drehung der Spindel in eine Richtung gibt es – von den Planetenbewegungen abgesehen – in der unmittelbar beobachtbaren Natur kein Vorbild. Die Erfindung der Spindel setzt also einen Denk- und Erkenntnisprozess voraus.
In nahezu allen Kulturen der Welt wird die Erfindung des Spinnens der obersten Göttin zugeschrieben, die gleichzeitig dessen Schutzpatronin ist. Oftmals spinnen die Parzen oder Nornen, eine Verkörperung der dreieinigen Göttin, den Lebens- und Schicksalsfaden des Menschen. Sie messen ihm seinen Anteil zu und schneiden ihn am Ende ab. Manchmal stehen die drei Spinnerinnen auch über den Göttern, denn sie sind die Herrinnen der Zeit.
Die griechische Göttin Athene, die unter anderen Namen im gesamten mediterranen Kulturkreis vorkommt, wird nicht nur mit der Spindel dargestellt. Ihre anderen Symbole sind die Eule für Weisheit und das Schwert für die Kriegerin. Eine menschliche Herausforderin, die Weberin Arachne, stellte im Wettstreit mit der Göttin von Hybris getrieben einen mit frevlerischen Bildern geschmückten Wandteppich her. Athene schlug das Mädchen zur Strafe mit dem Weberschiffchen auf den Kopf. Dieser schrumpfte und Arachne wurde zur Spinne, verdammt auf ewig zu spinnen und zu weben. Auch hier ist der Zusammenhang zwischen Spinnen und Denken hergestellt. Gleichzeitig besteht ein Zusammenhang zwischen Spinnen/Weben, Sprache und Krieg. Die technischen Begriffe für den Webstuhl und das Weben gleichen einem Arsenal und Kampftechniken. Da wird geschlagen, gestochen, geschossen, getreten und mit dem Schwert hantiert. Schaut man sich Redewendungen an (siehe da), wird dieses deutlich. Und in der Bibel wird das Wort mit einem Schwert verglichen.
In Indonesien mussten bei einigen Stämmen die Brautleute vor der Hochzeit getrennte Prüfungen bestehen. Der Bräutigam musste den Kopf eines Feindes erbeuten. Die Braut musste den „Kriegspfad der Frauen“ beschreiten, indem sie ein sehr kompliziertes Gewebe in einer kombinierten Färb- und Webtechnik, einen sogenannten Ikat, herstellte. Während dieser Zeit unterlag sie strengen Riten, unter anderem einem Schweigegebot.
Das Wort „Gewebe“ heißt in der Sprache der Dogon in Mali „soih“, was bedeutet „das ist das Wort“. Der Weber - „soihiti – ist der „der die Sprache hervor bringt“, indem er die Kett- und Schußfäden kreuzt. Der Mensch ist also mit seiner eigenen Sprache bekleidet. Dieses Wort, die eigentliche Offenbarung der Weberei, ist im charakteristischen Geräusch des Webgeschirrs und in der Bewegung eingeschlossen. Der Name des Webgeschirrs bedeutet „das Wort murmeln“.
Der französische Autor Patrice Hugues, der dies über die Dogon berichtet, meint, wir glaubten irrtümlicherweise, eine so große intellektuelle Sache wie ein Text, etwas Geschriebenes, müsse unbedingt dem Begriff, der einen so einfachen Gegenstand wie ein Stück Stoff bezeichnet, vorangehen. Wir vergessen ständig, dass es sich gerade umgekehrt verhält. Der Text konnte nur so genannt werden, weil es dieses Objekt – das Gewebe, das textile Objekt – bereits vor jedweder Schrift gab.
Spinnwirtel sind bereits im 6. Jahrtausend vor Christus – also vor 8000 Jahren - nachgewiesen. Sie bestehen aus Ton, Knochen, Stein oder aus kostbarerem Material wie Bernstein. Auch goldene Spindeln wurden gefunden. Viele der ältesten Spinnwirtel enthalten Ritzzeichnungen, die dem ältesten sich entwickelnden Alphabet zugeordnet werden können. Forscher vermuten, dass es sich dabei um Gebete oder Zueignungen an die Große Göttin handelt. Sie zählen zu den ältesten bisher gefundenen Texten der Welt. Vermutlich sind die Spinntechniken aber viel älter. Die ältesten nachweislich von Menschen verwendeten Textilfasern sind etwa 30.000 Jahre alt und stammen aus der Dzudzuana-Höhle in Georgien (gefärbte Flachsfasern), bzw. aus Vestonice und Pavlov in Mähren (Brennesselfasern).
Die älteste Darstellung eines horizontalen Webstuhls findet sich auf der Innenseite einer Schale aus Ägypten, die auf 4400 v. Chr. datiert wird. Man vermutet jedoch, dass die Steppenvölker in Südosteuropa schon um 6000 v. Chr. über kleine mobile Webrahmen verfügten. Geometrische Muster, die an Gewebe erinnern, finden sich auf Tongefäßen und Tempelwänden und auf den Röcken steinerner Göttinnen.
In der literarischen Gattung der Märchen finden sich heute noch viele dieser Menschheitserfahrungen in „herabgesunkener“ Form. In dem Grimm'schen Märchen „Die Nixe am Teich“ ermöglicht gerade die Tätigkeit des Spinnens der Heldin ein „Herauskommen aus der unbewusst und ungestaltet triebhaften Art des Existierens“ (Riedel, 1995). Rohmaterial wird in eine verfeinerte, differenziertere Form verwandelt, aus Chaos eine Ordnung geschaffen. Einem gesponnenen Faden kann man folgen.
Quellen:
Der älteste Satz in menschlicher Sprache in: Neue Zürcher Zeitung v. 15.7. 2015
Vom Spinnstock zum Spinnrad: Die Geschichte der Handspinnerei
http://www.die-spinnstube.de/geschichte.html
Dorit Berger, Als Adam grub und Eva spann in: Deutsches Textilforum 1/83
Almut Bohnsack, Spinnen und Weben Rowohlt 1981
Patrice Hugues, Tissu et travail de civilisation Rouen 1996, Besprechung mit deutschen Textauszügen von Beatrijs Sterk in: Textilforum 3/96
Textile Sprichwörter und Redensarten
Nichts ist so gesponnen, es kommt doch an die Sonnen
Spinne(n) am Morgen, Kummer und Sorgen
Spinne(n) am Abend, erquickend und labend
Immer den gleichen Faden spinnen
Der rote Faden
Zarte Fäden spinnen
Am seidenen Faden hängen
Den Faden verlieren
Den Faden wieder aufnehmen
Keinen guten Faden an etwas lassen
Nach Strich und Faden
Die Fäden ziehen
Alle Fäden in der Hand haben
Jemanden umgarnen
Jemanden um den Finger wickeln
Etwas abhaspeln, abspulen
Sich verhaspeln
Zusammen kungeln (kunkeln)
Spindeldürr sein
Mit jemandem spinnefeind sein
Sich etwas zusammen spinnen
Seemannsgarn / Lügengarn erzählen
Lebensfaden
Den Lebensfaden abschneiden
Schicksalsfaden
Zettel
etwas anzetteln
sich verzetteln
jemandem einen Denkzettel verpassen
wirken
Wirkung
Werk
Netz
vernetzen
vernetzt sein
Kontakte knüpfen
Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit!